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Im Wind stillstehen – Gedichte – Lesering.de

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Im Wind stehen - Gedichte - Lesering.de


In ihrem Gedichtband „Mädchen ohne Kleider“ befasst sich die russisch-jüdische Autorin Maria Stepanova mit einem Sujet, dies man wahrscheinlich zum Topos jener Weltliteratur zählen kann: Die Objektivierung des weiblichen Körpers. Während wir solche Form jener Objektivierung in jener Weltliteratur gewiss oft unreflektiert und im Schreiben selbst produziert vorfinden, wendet sich an Stepanova dem Themenbereich gewahr und mit schmerzender Klarheit zu. Via drei Gedichtzyklen verarbeitet sie den fremden Blick, dies Verschwunden-Sein und dies laufende Auflösen.

Liest man solche drei Gedichtzyklen in jener gedruckten Reihenfolge, so wird lichtvoll, dass sich die Fragmentierung des Körpers nachrangig in jener Gesamtkomposition wiederfinden lässt. Im ersten, titelgebenden Zyklus “Mädchen ohne Kleider” werden wir roh und einfach mit dem fremden Blick qua Eindringling konfrontiert. Schon jener Auftakt – “Immer ist da irgendetwas, dies sagt: zieh dich aus” – zeugt von den Befehligen eines unsichtbaren Anderen, dessen Heftigkeit ohne Rest durch zwei teilbar in seiner Mangel besteht. Dieser zweite Zyklus – ein Sonnenkranz mit dem Titel „Kleider ohne uns“ – thematisiert jene Hüllen (Kleider), die von ebenfalls simulierten Körpern – „made in Volksrepublik China“ – produziert werden, und aufwärts die wir, jetzt selbst die abwesenden Anderen, nachher belieben verstehen. Im letzten Ode – “Bist du Luft” – verfolgen wir dann dem Versuch eines lyrisch Ichs, sich im Zwiegespräch mit jener Natur, zwischen Wolken, Fichten und Hügel zu verorten. So finden wir am Finale dieses Bandes die Fragment des ersten Zyklus vom Blick zerpflückten Leib wieder, neben Gewässern und Baumkronen, qua Fragmente, sterben in weiter Stille versucht sind, zu einem Ganzen zu werden.

Überwindung des Täter-Todesopfer-Dualismus

Maria Stepanova Gedichtband überzeugt dort, wo er den Todesopfer-Täter-Dualismus überwindet. Die Angegriffene, von übergriffigen Blicken tagtäglich gemacht, WIRD, Während sie selbst zugreift, zur Angreiferin. So heißt es dann im zweiten, sich mit jener Historie jener Besetzung befassenden Zyklus: “Die es genäht hat, dies rote Kleid, sie wird es / Nicht tragen können” Und wenig später: “Sie nach sich ziehen gelernt, sind gestorben, nicht wiedergekommen: / Die euch tragen, die im Rahmen euch, / Nach sich ziehen den Wohnort gewechselt und mit ihm / Geschlecht, Konfektionsgröße, Stil.”

In die Ohnmacht jener erblickten und fremdbegehrten Leib ragt somit die Ohnmacht jener, die, unter starkem Blick Ausbeuter, die Hüllen ihrer produzieren, mit denen sich solche fremdbegehrten Leib schmücken. Die Psychotherapie hat ganz richtig darauf verwiesen, dass die Unterbrechung erotisch ist. Die Wursthaut, die zwischen Handschuh und Schamper, zwischen T-Shirt-Finale und Hosenansatz hervorblitzt, fördert dies Begehren. Die Kleidungsproduktion ist nicht zuletzt aus diesem Grund untrennbar mit jener Lust an jener Instrumentalisierung des Frauenkörpers verbunden.

Zwischenräume

Stepanovas Sprache ist lichtvoll, die Sätze pointiert. Hinaus Schmuck und Lametta verzichtet die Autorin. Hinter jener Unfruchtbarkeit ihrer Sprache – die von Olga Radetzkaja wunderbar ins Krauts transferieren wurde – scheint die Muffensausen vor dem Reibungslosen zu liegen. Die Muffensausen, irgendetwas Glasiertes zu produzieren. Zusammensetzen Sprung aufzuschreiben, jener ohne Maß schnell aufgenommen und gleich wieder vergeht. Oder verknüpfen, jener zu weit ausreißt, zu viel Phantasie zulässt. Genau zwischen diesen beiden Extremen entstehen großartige Zeilen wie: “Mädchen ohne Kleider sagen / Immer wie: sie sagen ja sagen ja / Dies ist dies einzige Wort ihrer Sprache / Dies je übersetzt wurde.”

Dieser dritte, dem 2006 verstorbenen Dichter Gennadij Ajgi gewidmeten Zyklus “Bist du Luft”, führt uns in eine russische Vorstadtlandschaft. Die vorangegangenen Zyklen noch in Wiedererleben geholt, liest man dies hier angeführte lyrische Selbst qua ein von Traumata eines. Vielleicht endlich allen Hüllen entledigt, stapft es durch den “Vorstadtmatsch”, sucht sich in den Zweigen jener Bäume, im Wind mittendrin, in einem menschenleeren Wasserlauf; erinnert sich an die Winkelzug vor dem Regen, an dies Ehegattin Gemeinde am Wegrand. Klitzekleines bisschen ist dies wie eine Rückkehr. Dies Zuhause, welches sonst, die Sprache.

Maria Stepanova – “Mädchen ohne Kleider” / Basta dem Russischen von Olga Radetzkaja / Suhrkamp Verlagshaus 2022 / 69 Seiten / 23 Euro

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